It’s a computer, stupid

Eine Rezension zu „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“ von Richard David Precht

Wie nähert man sich einem Buch, das auf der aktuellen Hardcover-Bestsellerliste für Sachbücher weit oben gelistet ist und dessen Autor produktiv und omnipräsent ist? Nicht selten pendeln sich die Erwartungshaltung des Publikums und das literarische Werk auf Koordinaten ein, die eine klare Positionierung erlauben. Haben wir es also mit einer Fortsetzung von „Jäger, Hirten, Kritiker“ zu tun?

Meine Erwartungshaltung ging in eine andere Richtung. Der überaus interessante Titel löst Assoziationen aus. Bei dem Werk eines Philosophen erhoffe ich mir sowohl eine philosophische Abhandlung über Künstliche Intelligenz als auch über den Sinn es Lebens. Und natürlich Erkenntnisse über die womöglich überraschenden Verknüpfungen zwischen den Themenfeldern.

Leider war die Lektüre des überaus erfrischend geschriebenen Buchs ausgerechnet in den philosophischen Passagen eher enttäuschend. So heißt es über Nietzsche, dass er den „’Übermenschen‘ im späten 19. Jahrhundert aus seiner Lektüre sozialrassistischer Autoren fertigte“ (Seite 10). Ein Klischee, das der aktuellen Nietzsche-Forschung nicht gerecht wird. Tatsächlich bewunderte Nietzsche Autoren wie Lawrence Sterne, den „freiesten Schriftsteller aller Zeiten“, dessen „Überhumor“ ihn offenbar inspirierte (siehe dazu: genius loci, Klaus Vieweg, 2014). Wenn man Nietzsches gesundheitliche Situation und das Wirken seiner Schwester berücksichtigt, sollte die Nietzsche-Lektüre mit der sehr lesenswerten Fröhlichen Wissenschaft enden, während Zarathustra auf einen psychopathologischen Seziertisch gehört.

Betrachten wir nun die Definition des Begriffs Sinn bei Precht. „Sinn ist jener Horizont, vor dem das, was Menschen jenseits des nackten Überlebens tun, verständlich wird“ (Seite 20). Das ist allerdings ein ontologisch nackter Begriff. Doch hier geht es nicht um meine falsche Erwartungshaltung, sondern um das, was Precht aus dieser Definition macht. Tatsächlich begeben wir uns auf das Spielfeld der Soziologie – Precht interessiert, was die Technologie mit dem Menschen macht, und umgekehrt, was der Mensch mit der Technologie macht.

Die Künstliche Intelligenz wird sehr kritisch durchleuchtet. Diese Passagen des Buches sind überaus erfrischend. Klar und deutlich bringt es Precht auf den Punkt: „Computer sind unfähig, das eigene Wissen zu wissen.“ (Seite 25)
Die Erkenntnis ist allerdings nicht neu. Die stärksten Argumente dazu hat Roger Penrose in Computerdenken (1991) publiziert. Mathematiker wie Kurt Gödel und Paul Finsler haben uns eindrucksvolle Abhandlungen hinterlassen. Schade, dass die Philosophie diese Säulen nicht in den Diskurs einbindet.
Sogar die Ontologie kann Prechts Argumente stützen. Eine Differenz zwischen Mensch und Maschine kann man aus Nicolai Hartmanns Schichtenmodell ableiten (insbesondere aus Möglichkeit und Wirklichkeit, 1966).

Zurück zu Precht. Das Buch ist vor allem eine Antwort auf die „Träume des Silicon Valley“. Es arbeitet sich unter anderem an Superintelligenz von Nick Bostrom (2018) ab. Und je weiter man Prechts geistreicher Entzauberung des Silicon Valley folgt, desto mehr wird klar, dass die kalifornischen Gedankengebäude aus philosophischer Perspektive auf Sand gebaut sind. Das ist sehr verdienstvoll, denn es erspart uns Zeit. Denn wir wissen nun: Es ist – aus philosophischer Sicht – Zeitverschwendung Superintelligenz zu lesen.

Bei der Erörterung der Frage, wo die Grenzen der Künstlichen Intelligenz liegen, kommt der Autor nicht zum entscheidenden Punkt. Ganz richtig stellt er fest: „Eine … KI, die den Weg selbst als Ziel betrachtet, ist bislang nicht programmiert.“ (Seite 137)
Was ist damit gemeint? Ganz richtig erörtert Precht in diesem Kontext Heideggers „In-der-Welt-sein“. Wir Menschen leben in einem situativen Kontext, der Computer nicht. Hier könnte man ergänzend noch Heideggers etymologische Betrachtung des inter esse (siehe dazu: Was heißt Denken? Reclam 8805) ergänzen. Schon damals fragte er: „Wo bleibt bei den wissenschaftlich registrierbaren Gehirnströmen der blühende Baum?“.
Der Mensch hat also inter esse, der Computer nicht.
Allerdings würde Künstliches Leben eine neue Geschäftsgrundlage schaffen. Sich selbst reproduzierende Nanoroboter könnten eigene Interessen gewinnen. Ganz richtig stellt Precht fest, dass unser Denken die Welt erst erzeugt (Seite 140). Und auch Künstliches Leben würde eine eigene interne Repräsentation und damit echte Subjektivität generieren. Auf Künstliches Leben geht der Autor allerdings nicht ein.

Einige Akteure aus dem Silicon Valley berufen sich auf den Utilitarismus, also der Lehre, die im Nützlichen die Grundlage des sittlichen Verhaltens sieht. Diese Position demontiert Precht meisterhaft. „Der klassische Utilitarismus kennt keine Menschenwürde.“ Unter anderem am Beispiel selbstfahrender Fahrzeuge und den damit zusammenhängenden ethischen Problemen wird dies sehr deutlich vor Augen geführt.
Man könnte auch ganz einfach sagen: Würde lässt sich nicht programmieren.
Sehr lesenswert auch die Passagen, in denen Precht das chinesische digitale Überwachungssystem aus philosophischer Perspektive betrachtet: „China ist dem positivistischen Geist heute näher als jeder Staat in der Geschichte.“ (Seite 226)

Als Zugabe findet der Leser interessante Reflexionen zur Corona-Krise (das Vorwort wurde im April geschrieben), und auch bemerkenswerte Beziehungen zwischen Digitalisierung und Klimakrise werden hergestellt.





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